Ruf: Eine Ikone steht für etwas, sie ist eine Verkörperung bestimmter Werte, Vorstellungen, eines bestimmten Lebensgefühls ‒ ein Möbel also, das eine Epoche, Entwicklung oder die Haltung einer bestimmten Zeit einfängt und repräsentiert, mit dieser Zeit identifiziert wird, für diese Zeit steht. Gleichzeitig sind diese Entwürfe aber durch eine besondere Zeitlosigkeit geprägt, die sie auch Jahre nach ihrer Markteinführung aktuell und zeitgemäß wirken lassen. Beispiele sind unter anderem unsere Möbelklassiker aus der Bauhaus Zeit, S 32, S 43 oder aber auch Bugholz Stühle 214 oder 209.
Ruf: Die Entwürfe haben es geschafft, mehr zu werden als Möbel, inzwischen sind sie ein Bestandteil unserer Kultur. Immer wieder hören wir „Auf Thonet bin ich aufgewachsen“ oder „Bei meinen Eltern standen Stahlrohr-Freischwinger um den Esstisch“. So werden die Möbel fast zu Familienmitgliedern, die über Generationen weitergegeben und vererbt werden. Möbel von Thonet gehören heute wie gestern zum alltäglichen Leben vieler Menschen in der ganzen Welt. Rechnung trägt dem unsere grundsätzliche Qualität, aber auch, dass sie eine konstruktive Intelligenz aufweisen und somit problemlos repariert werden können. Wir betreiben in unserer Produktion sogar einen eigenen Reparaturservice, in welchem Kunden ihre Möbel nach teilweise 10 oder auch 20 Jahren Gebrauch grundsätzlich aufarbeiten oder z. B. auch nur mit neuem Geflecht ausstatten lassen. So erhalten Möbel aus vergangenen Generationen ein zweites oder auch drittes Leben und Menschen kommen für viele weitere Jahre auf ihnen zusammen und erfreuen sich an der perfekten Verarbeitung.
Ruf: Rückblickend waren es oft neue Technologien, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erfunden wurden und neue Formen und/oder Funktionen ermöglichten. So auch die Erfindung des Dampfbiegens durch Michael Thonet oder die Verwendung von Stahlrohr im Möbelkontext durch Mart Stam und Marcel Breuer. In beiden Situationen führte der Einsatz zu einer so bisher nicht bekannten und aus der Technologie geborenen selbstverständlichen Form und damit verbundenen neuen Fertigungsprozessen wie der Serienfertigung. Im Falle des „hinterbeinlosen Stuhls“, dem Freischwinger von Mart Stam und Marcel Breuer, entstand aus diesen Entwicklungen sogar eine gänzlich neue Stuhl-Typologie mit besonderem Komfort, also einer Funktion und einer neuen Ästhetik, wie sie vorher nicht existierten.
Ruf: Eine großartige Eigenschaft unserer Klassiker ist ihre strukturelle Signifikanz. In ihrer Substanz sind sie zeitlos und können über optische Aktualisierungen, wie etwa die Auswahl an neuen Farben oder Oberflächen, der jeweiligen Zeit angepasst werden, ohne an Authentizität, Ästhetik und Funktionalität zu verlieren. Parallel sehen wir, dass sich auch die Bedürfnisse hinsichtlich der Nutzung unserer Produkte immer wieder verändern. Hier stellen wir uns immer wieder die Frage: Rechtfertigen neue Bedürfnisse die Herstellung eines neuen Produkts oder können wir die Nutzung eines existierenden Produkts erweitern? In diesem Zusammenhang verwenden wir gern den Begriff „ethisches Design“. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Sofaprogramm S 5000 aus dem Jahr 2006: Mit Blick auf das Bedürfnis nach Rückzugsbereichen in offenen Raumstrukturen wie Großraumbüros oder Hotellobbys, aber auch in Wohnbereichen mit weitläufigen Loft-Strukturen haben wir Paneel-Elemente entwickelt, die selbst an vorhandene S 5000-Sofas angebracht werden können und so das Produkt für diese neue Nutzung qualifizieren und optimieren. So wurde das S 5000 evolutionär erweitert zum Programm S 5000 Retreat.
Ruf: Es ist natürlich ärgerlich. Und wir gehen auch juristisch immer wieder erfolgreich gegen Kopierer vor. Gleichzeitig ist eine Kopie natürlich der beste Beweis, dass im Original etwas Besonderes geschaffen wurde.
Ruf: Das ist bei Thonet keine einfache Frage. Ich schwanke zwischen dem Bugholzstuhl 209, dem Le Corbusier schon etwas „Vornehmes“ zusprach, und dem Freischwinger S 32, in welchem Marcel Breuer die Geschichte von Thonet elegant mit der Bauhaus-Moderne verwoben hat. Darüber hinaus begeistert mich natürlich immer der Entwurf, an dem wir aktuell arbeiten, besonders.
Ruf: Ich würde unterstellen, dass keines der Produkte, die wir heute als Ikonen oder Klassiker kennen, mit einer solchen Intention entworfen wurde. Auch ist bekannt, dass einige in ihrer Zeit nicht erfolgreich waren und erst später entdeckt wurden – ähnlich kennt man es auch aus der Kunst. Man darf aber durchaus die Intention haben, etwas Gutes zu machen. In allen Produkten sehen wir immer die DNA des Unternehmens, sei es durch gestalterische Feinheiten, die Materialauswahl oder die perfekte Verarbeitung. Umso erfreulicher ist es, wenn die Zeit dann zeigt, dass es gelungen ist, eine Haltung einzufangen, und dass das Produkt zu einer Ikone geworden ist. Das scheint zuletzt beim Holzstuhl 118 von Sebastian Herkner gelungen zu sein: ein Entwurf mit direkten Bezügen zu bestehenden Entwürfen aus dem Thonet-Portfolio, der sich heute als junger Klassiker im Markt etabliert hat und über die Zeit um weitere Ausführungen ergänzt wurde. Eine frische Produktfamilie also, die heute schon das Potenzial hat, sich als eine junge Thonet-Ikone zu etablieren.