Wie wir die Pandemie-Krise überwinden und uns zugleich eine neue Realität erschaff en, ist spannend zu beobachten. Es mag zufällig sein, aber dass zunächst die Cafés in Österreich öffnen durften und in Frankreich die Restaurants zeigt spezifische Ausprägungen des verbreiteten Wunsches nach Sozialität, nach dem Zusammentreffen und dem direkten Austausch. Nach Monaten der physischen Kontaktvermeidung wird überall auf der Welt der Drang nach Kommunikation und Interaktion erkennbar.
Gerade haben wir ganz praktisch erfahren, dass Büroarbeit auch anders funktioniert, als uns bislang antrainiert wurde. Dass es eine zusätzliche Spielart gibt, die künftig unsere Handlungsoptionen bereichern wird. Vollständig ablösen wird sie das Büro nicht. Wenigstens zeitweise bedürfen wir einer spontanen Gemeinschaft, wie sie durch physisches Zusammenwirken entsteht. Doch mit dem Eindämmen der Pandemie stehen der Strukturwandel in Produktion und Dienstleistung wie auch Herausforderungen des Klimaschutzes unverändert auf der Agenda. Entsprechend dürfte der Druck, Techniken der Fernpräsenz dauerhaft anzuwenden, enorm sein. Das Büro von gestern ist tot. Was tritt an seine Stelle?
Wenn wir feststellen, dass Büros die neuen Kaffeehäuser sind, ist das praktisch wie metaphorisch zu verstehen. Für die künftige Bürokultur interessant ist nicht allein der physische Ort, sondern was dort geschieht: Cafés sind traditionell »Community-Hubs«, an denen Menschen sich zwar auch fokussiert zurückziehen – und sei es nur für eine kurze Phase –, an denen sie sich aber vor allem mit anderen intensiv austauschen.
Seit einigen Jahren widmet sich Thonet dem Café als einem Bereich mit besonderen Regeln, dessen Charakter im Rahmen von Bürogestaltung künftig eine tragende Rolle spielen könnte. Stände auf der Bürofachmesse Orgatec wie auf der Wohnmöbelmesse imm cologne wurden als »Café Thonet« inszeniert. Zeitweise als Pop-up-Cafés betriebene Showrooms tragen diesen Gedanken in die Städte. Nicht zuletzt bieten im Thonet-Portfolio neue, neu gedachte und aktualisierte Produkte die Möglichkeit, den Kaff eehausgedanken im Büro praktisch wirksam werden zu lassen.
Mit der Rückkehr aus dem Home-Office ins Büro steigen die Chancen für dessen Neuerfindung. Stellen wir die Weichen jetzt richtig, kann das zu substanziellen Verbesserungen führen. Das Beharrungsvermögen (»so haben wir es immer schon gemacht«) taugt nicht mehr als Argument. Wir kennen inzwischen die Alternativen, deren Schwächen allerdings auch. Mit der fortschreitenden Digitalisierung, der Transformation unserer Lebens- und Arbeitswelt ergeben sich neue strukturelle Optionen, deren positive Effekte wir nutzen und in unseren Unternehmen verankern sollten.
»Wer nicht an seinem Arbeitsplatz sitzt, der arbeitet nicht.« Das war lange eine verbreitete Devise. Auch Thonet machte da keine Ausnahme. Noch vor wenigen Jahren dominierten zugeordnete, meist auch isolierte Arbeitsplätze im Büro.
Zum Einzelbüro komplementär wirkte früher der Konferenzraum, den man für Besprechungen in großer Runde aufsuchte. Lange Sitzungen entsprachen einem Topdown-Führungsstil. Konferenzräume für Vorstände und Aufsichtsräte sind heute stärker auf Kommunikation ausgerichtet, auf einen veränderten Führungsstil. Selbst im Eventbereich sind die Veränderungen spürbar. Für eine große Veranstaltungshalle gibt es nicht nur die Reihenbestuhlung, sondern einen Mix aus offenen Flächen mit veränderbaren Layouts.
Spannend an den neuen hybriden Konzepten ist, dass sich Bereiche und Aktivitäten zunehmend überlagern, dass sie verschmelzen. Wir haben inzwischen gelernt, mit neuen Freiheitsgraden umzugehen, die auch Einfluss auf Architektur, Innenarchitektur und Organisationsstrukturen haben und sich auf das Verhalten von Mitarbeitern unmittelbar auswirken. Nur weil man sich durch den Raum bewegt, endet die Arbeit, endet das Nachdenken über eine aktuelle Aufgabe nicht. Die Einhaltung der Prozessregel »Sitzen am Schreibtisch« steht weniger im Fokus als das Ergebnis der Arbeit, wann und wo dies auch immer erbracht wird. Zur Freiheit gehört die Auswahlmöglichkeit. Auf einem Stuhl oder Sofa kann man – falls dessen funktionale Ausstattung stimmt – zwischen fokussierter Arbeit und Austausch wechseln, besser jedenfalls als fixiert am eigenen Tisch.
Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft sah der deutsch-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann (1930–2021) als Säulen seines New-Work-Konzeptes. Er entwickelte es Anfang der 1980er-Jahre, um der US-Autoindustrie konstruktive Alternativen zur Massenentlassung von Arbeitern zu bieten. Diese sollten im Halbjahreswechsel zunächst wie gewohnt angestellt arbeiten, um anschließend ebenso lange einer selbstbestimmten Tätigkeit nachzugehen. Die »Neue Arbeit«, so hoffte er, würde Lohnarbeit langfristig überflüssig machen oder nur noch ein Teilaspekt sein. Denn diese sei so etwas wie eine »leichte Krankheit«. Und entsprechend einer Grippe, sage man am Mittwoch: »Bis Freitag halte ich es noch durch.«
Aus dem Initialprojekt entwickelte Bergmann die Idee der New Work zusammen mit einer Reihe von Anhängern. Sie propagieren ein neues Verständnis, zu dem gehört, herauszufinden, »was Menschen wirklich, wirklich wollen.« Bergmann nutzte dazu Befragungen der Mitarbeiter von Autofirmen. Diese sollten in eine Selbstermächtigung münden, andere Formen von sinnvoller Tätigkeit zu erproben und mit ihnen neue Geschäftsmodelle. Insbesondere in der Büromöbelbranche und in der Gründerszene finden Bergmanns Thesen heute ein begeistertes Echo.
Im Jahr 2006 veröffentlichten Holm Friebe und Sascha Lobo ihr Buch »Wir nennen es Arbeit«, in dem sie der »digitalen Bohéme« oder dem »intelligenten Leben jenseits der Festanstellung« huldigten. Sie stellten Projekte vor, die neue Arbeitsformen ausprobierten und dabei avancierte Technik nutzten. Der Berliner digitale Bohémien dieser Zeit entsprach einem mit Laptop ausgestatteten Freelancer, der seine weltweite unternehmerische Tätigkeit vom Café aus per WLAN organisierte. Heute haben sich manche Cafés zu Coworking-Firmen mit angeschlossener Unternehmensberatung weiterentwickelt. »Das Wechselspiel aus Technologie, Stadtentwicklung, Kultur, sozialem Wandel und Politik«, heißt es bei Friebe und Lobo, »wird Lebens- und Arbeitsformen ermöglichen und hervorbringen, die uns heute noch utopisch erscheinen.«
Für Thonet ist das Café eine Sphäre, mit der das Unternehmen seit Anbeginn verbunden ist. So gilt die Lieferung des Stuhls No. 4 an das Kaffeehaus Daum in Wien vor mehr als 170 Jahren als erster Auftrag für Bugholzmöbel in einem öffentlichen Lokal. Weit berühmter wurde der noch heute hergestellte Wiener Kaffeehausstuhl, der ikonische 214. Ulla Heise, die Kaffee- und Kaffeehaus-Historikerin, resümiert: »Für jeden Typ von Kaffeehaus, ob es einfach oder Luxusklasse war, erwiesen sich Bugholzsessel und -stühle als hervorragend geeignet.«
Wenn Büros die neuen Kaffeehäuser sind, dann bedürfen sie auch der entsprechenden Produkte. Zur Geschichte von Thonet gehört nicht nur die Erfindung und Einführung der Bugholztechnik Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern auch die frühe Produktion von Stahlrohrmöbeln ab 1930. Eine grundlegende Innovation, die neue Wohnund Einrichtungsstile ermöglichte und mit einem veränderten Raum- und Architekturempfinden einherging. Möbel wie die Freischwinger S 32 und S 64 von Marcel Breuer bezogen sich mit Sitz und Lehne auf das »Wiener Geflecht« der Jahrzehnte zuvor entwickelten Thonet-Bugholz-Möbel. Heute entwickeln wir Breuers Formensprache – den Anforderungen der Zeit entsprechend – funktional weiter zum Barhocker oder Drehstuhl.
James Irvine griff für Thonet 2006 die Idee eines Stahlrohr-Daybeds der frühen 1930er-Jahre auf und entwickelte daraus das Sofasystem S 5000. Aufgrund der Hybridisierung der Kultur zwischen Wohnen und Objekt hat S 5000 kürzlich ein erneutes Update erfahren: Marialaura Rossiello Irvine hat dieses Programm um modular aufgebaute Ein- und Zweisitzer inklusive variabler Trennwände ergänzt, die Rückzugsort, Treffpunkt oder Lade- und Wartestation sein können und somit eine funktionale Erweiterung erfuhren. James Irvine sprach von der »Neuerfindung existierender Produkte«. Seine Frau nennt es heute »ethisches Design« – wenn Unternehmen und Designer sich mit Investitionen und Produktionsabläufen auseinandersetzen und das Bestehende weiterentwickeln. Bei Thonet ist dieser Ansatz Teil der Unternehmensgeschichte.
Unsere Erfahrung mit den sogenannten Möbelklassikern zeigt, dass sie sich für diese Transformation wunderbar eignen und somit nicht Museumsstücke sind, sondern bei genauem Hinschauen einen aktuellen Bezug entwickeln. Damit werden sie zu selbstverständlichen Gegenständen, die zur Interaktion beitragen. Geläufige Bestandteile eines Büros, das Anleihen beim Kaffeehaus nimmt.