Stam fühlt sich dem rationalen Bauen und Entwerfen verpflichtet. Einfachheit ist für ihn kein Selbstzweck. Visionäre Architekturstudien, die er veröffentlicht, machen ihn international bekannt. 1925 experimentiert er mit Gasrohren, aus denen er einen neuartigen Stuhl ohne Hinterbeine zusammensetzt – die Grundidee des von Thonet bis heute unter verschiedenen Modellnummern produzierten Freischwingers war geboren. 1926 wird er von Ludwig Mies van der Rohe zur Teilnahme an der Werkbundausstellung „Die Wohnung“ in Stuttgart eingeladen. Stam realisiert dort ein Reihenhaus mit drei Wohneinheiten, zwei davon richtet er selbst ein, die dritte Marcel Breuer. Erstmals stellt Mart Stam hier seinen hinterbeinlosen Kragstuhl vor, Vorbild unzähliger Freischwinger. 1928 zieht er nach Frankfurt am Main, wo er die Typisierung von preiswertem Wohnraum erprobt. Im Wintersemester 1928/29 ist er Gastdozent für Städtebau am Bauhaus Dessau. 1930 geht er mit Ernst May („Brigade May“) und mit seiner damaligen Frau Lotte Stam-Beese in die Sowjetunion, um Städte zu planen. Nachdem er sich 1934 weigert, eine Stadt in besonders unwirtlicher Umgebung zu projektieren, muss er die UdSSR verlassen. 1939 übernimmt er in Amsterdam die Leitung des Instituts für Kunstgewerbeunterricht. Nach 1945 kann er an frühere Erfolge nicht mehr anknüpfen. 1948 zieht es ihn in den Osten Deutschlands, er wird Direktor zunächst der Kunsthochschule Dresden, ab 1950 der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Im Kalten Krieg gerät der Erfinder des hinterbeinlosen Kragstuhls zwischen alle Stühle: In der DDR gilt Stam als Bauhaus-naher Formalist, in den Niederlanden, in die er 1953 zurückkehrt, als linker Reformer. Ab 1977 lebt er zurückgezogen in der Schweiz. Stam erhält das künstlerische Urheberrecht für den Freischwinger, das heute bei Thonet liegt.